Gedichte 1997 - Herbst



das handy piept
langsam
führe ich es zum rechten ohr
voller hoffnung
in der erwartung
des schrecklichen
das jetzt passieren könnte

drücke den “SPRECHEN” knopf
und
im gleichen moment
zerreißt
eine explosion meinen schädel

knochenteile gemischt mit blut und hirn
fliegen durch die luft
landen und kleben
an den wänden
an den autos
auf den zeitungen
an meinen händen
und
am handy

- - -

“hallo...hallo...hallo...”















SEITDEM

in den tageszeitungen
regelmäßig
über mich berichtet wird
mag ich
das blutige
nicht ganz durch gebratene
steak
nicht mehr essen
das mir früher immer so gut bekam

irgendwie
tun mir die
schweine
leid




























HERBST



aus den blättern fiel dein lachen
zurück in unsren tag
ich verriet dir tausend sachen
und auch das ich dich mag








































ich
sagte
ja
und
verneinte
damit
all
die
fragen
die
mir
nie
niemand
stellte






























ich kam unter die räder
des trojanischen pferdes,
wurde geschleift
über scharfes, staubiges gestein,
endlich gepfählt,
geteert und gefedert.
man schnitt mir die haut
in streifen aus dem gesicht
und fütterte
die hungrigen schakale satt.
aus meinen klaffenden wunden
tranken kleine gelbe vögel
später dann mein blut
und trugen so einen teil von mir
in ferne länder
die zu bereisen
mir nicht mehr möglich war
und ich folgte ihnen


























ICH



las dieses buch
über den massenmörder ted bundy
der in amerika
(wie weit ist das weg?)
nicht alle morde zugab
die er
möglicherweise
begangen hat

und

frage mich
wieviel zeit bleibt mir noch
bis auch ich
etwas zuzugeben habe

wieviel anstoß genügt
um die richtung zu ändern
wieviel mut
zum ersten schritt
wieviel angst
in diesem land
wieviel



















das träge pulsierende,
vorsichtig zuckende
herz,
das ich mir selbst
aus dem brustkorb
schnitt
liegt in meinen händen
und ich muß,
voller bitternis,
feststellen,
daß mich der tod
nicht erreicht hat.
und licht nicht.
und stille nicht.
unendliche furchtbare stille.

sondern, das die einzige
sichtbare veränderung
das blutende loch in meiner brust ist,
und es blutet nicht stark
und es fehlt mir nichts.

das messer
liegt noch stunden
zwischen meinen füßen
und wartet darauf
den nächsten schnitt zu tun.
es zu tun.





















DER BLICK



auf die nadel
der anzeige
meiner waage
(die ich für 29,95 im sonderangebot gekauft habe)
bringt mich
zur vernunft
-
in den letzten tagen
habe ich täglich
drei kilo
abgenommen
ich bin praktisch
nur noch
knochen und trockene haut
-
-
ein gewitter
aus plastiksplittern
und stählernen schrauben
federn
plättchen
kommt in einer ecke des raumes
aus der luft
und
-
die nadel zeigt zum fenster
ich
werde leicht
leichter
und











SO



wie du jetzt vor mir liegst
habe ich lust
dir ins gesicht zu schlagen
dich anzuspucken...
und
mit dir liebe zu machen

so wie du dich jetzt umdrehst
habe ich spaß daran
mir all das und noch mehr
vorzustellen

so wie du jetzt die augen aufschlägst
liegt mir daran
sie dir auszustechen
zu drücken
oder zu kratzen

so blau wie deine augen
war der himmel schon lange nicht mehr
für mich

ich will dich weinen sehen
schreien hören

ich will dich
















ICH HABE ANGST



vor deinen titten,
diesen monströsen fettbergen,
mit den großen roten warzen,
die steil gen´ himmel ragen,
die mich zu erschlagen,
zu ersticken,
zu erdrücken
drohen
wenn ich auch nur einen augenblick,
einen winzig kleinen augenblick,
nicht aufmerksam genug bin.

ich habe angst
vor diesem schaurig-schönen gefühl,
vor diesem warmen fleisch,
vor deinen
riesen titten
vor


























WURDE ICH VON EINEM UFO ENTFÜHRT?



hatte ich sex mit außerirdischen?
wer um alles in der welt hat diesen baum gefplanzt,
der jetzt sein laub abwirft,
nackt und wie ein riesenphallus
vor mir in die höhe ragt?

während ich mit dir schlafe
wird mir klar, daß jedes wort von dir
schon fahrlässige körperverletzung ist
und das eigentlich kein pflaster groß genug ist
um die aufgerissenen wunden zu bedecken,
das blut zu stillen und mich zu retten.

im auto weht ein leichter wind,
die klimaanlage ist auf “kenia” gestellt
und meine schweißnassen hände rutschen am lenkrad,
sehnen sich danach einmal das weiche material des airbags
zu befühlen, den kopf hineinzutauchen,
den geruch zu atmen und an sex mit vier frauen zu denken.
in regelmäßigem zyklus, hintereinander und immer wieder.

das “mit dir schlafen” in meinem ufo,
daß aus kenia kommt, pflaster dabei hat
und einen luftsack,
ist die körperverletzung die mich an einen baum treibt
um festzustellen
daß du womöglich eine außerirdische bist,
die auf der erde bäume pflanzt um sie wachsen zu sehen
und zu entlauben
immer wieder zu entlauben




























ARKTIKA



ich schmeiße meinen job
kündige mein telefon
scheiß auf alle kredite
verkaufe mein auto
und zerreiße
meine geburtsurkunde

dann wandere ich
in die antarktis aus
weit weg vom alltag
weg vom heimatgefühl

-

die wenigen lebensmittel sind aufgebraucht
die letzten zigaretten geraucht
die letzten biere eingefroren
ich mache mich bereit

ich registriere jede zuckung meines körpers
die sich verlangsamende fließbewegung meines blutes
spüre wie ich mich immer weniger bewegen kann
wie die ersten gliedmaßen
(erst die zehen und finger, dann die ohren und so weiter)
absterben
abbrechen
bei unbedachten bewegungen

und ich begreife das ich langsam aber sicher
erfriere
dem sicheren tod entgegen zittere

-

es überkommt mich ein gefühl von wärme
wieder zu hause
ich erinnere mich
der alltag hat mich wieder
...

































DIESEN BAHNHOF



auf dem ich
jeden sonntag
deine tränen
trinken muß
habe ich
so lieb gewonnen
daß ich manchmal
das verlangen habe
mich auf die schienen zu legen
auf den nächsten zug
zu warten
und
ihn ein letztes mal zu ficken
bis zum ende
kopflos




































ICH KIPPE



sechs bier in mich hinein
rauche
dreizehn zigaretten
und sehe irgendeinen porno

ich muß an dich denken
an deine kleinen titten
an deine festen arschbacken
und an das
was so einladend
zwischen deinen schenkeln
blankrasiert und kratzend
auf mich wartet

ich ignoriere dich
und lege statt dessen
selbst hand an mich
deine schiebe ich zur seite
oder zwischen deine schenkel

und während wir gemeinsam
kommen
überlege ich
warum ich all diesen zweierkistenkram
auf mich nehme
wenn es doch allein auch ganz gut geht
und meistens sogar schöner ist

ich glaube
weil du so gut kochen kannst



































in die wände der jahre
schlagen sich die tage
wie rostige nägel
heraus aus dem zerbrochenen stundenglas
das sekunden zu nadeln werden läßt
die sich wiederum unter die haut reiben
um schmerzhaft daran zu erinnern
wie langsam die zeit
vergeht













ICH BIN DER LETZTE MOHIKANER



hier im Grunewald.
Ich leb fast fünfzig Jahr hier
und bin schon ziemlich alt.
Doch jetzt zieh ich meine Joppe an
und fahr zum Wannsee raus,
dort werde ich ein Fischergeist
und fühl mich wohl im neuen Haus.












WENN DU ALLES VON MIR WÜßTEST,



zum beispiel was ich nachts treibe und lebe
wenn du nicht in meiner nähe bist,
was ich träume und wünsche
wenn du in meiner nähe bist,
oder wie es mir geht
wenn du gehst und nicht mehr kommst,
dann würdest du wahrscheinlich
noch nie in deinem leben
hier gewesen sein
würdest du nie
gehen
können










WIEDER UND WIEDER



spuckt der drucker eine seite aus
und
wieder und wieder
zerreiße ich sie
zerreiße ein stück aus mir
will nicht wahrhaben
was da geschrieben steht
kann nicht glauben
das das meine gedanken sind
das das ich bin
das das aus mir kommt
in mir lebt
in mir stirbt
und in mir verwest

ich will ein kind gebären
es an meinem hirn säugen
und ihm das sprechen mit meinen fehlern lehren
will es durch meine augen sehen lassen
will es meinen weg gehen hören
und will
das es früher stirbt als ich es jeh konnte
früher sich befreit
und früher...

wieder zerreiße ich eine seite
und fühle im gleichen moment
einen kleinen schwachen stechenden schmerz
in meinen kopf
so als wüchse ein tumor in mir heran
zu schnell
um ihn herauszuschneiden

ich werde mich damit abfinden müssen
nie einem kind meinen weg zu zeigen
nie einem kind meinen weg zu
nie einem kind meinen weg
nie einem kind meinen
nie einem kind
nie einem
nie













wenn ich die jacke anziehe die man mir hinhält
dann werde ich feststellen das sie mir nicht passt
also ziehe ich sie erst gar nicht an

laufe statt dessen lieber
kurzärmelig durchs leben
lese bücher
über kriminaltechnische methodik
und sexualforschungsergebnisse
laß mich im winter einschneien
und im sommer unter wasser
an den schwanz fassen
scheiß auf jacken und uni-formen
pisse in leere sektflaschen und wünschte
ich wäre nie geboren
in dieser welt
in der jeder zweite in leere sektflaschen pißt
es aber nie zugibt
in dieser welt
in der jeder mann nur seinen schwanz vor augen hat
acht, dreizehn, zweiunddreißig
scheiß egal
in der es nur auf jacken ankommt in die man paßt
die man sich anziehen kann
in der man geld und handy hat
dabei kommt es darauf an das man schwanz hat
und das gegenstück
und das man bei sich selber bleibt
und leere sektflaschen hat

soll doch jeder sehen wie er damit klarkommt
ich jedenfalls habe leere sektflaschen
schwanz und das gegenstück
bin mann
gebe es zu
und ziehe mir die jacke nicht an










ICH HATTE SEX



mit meiner hündin.
und das beste daran -
war nicht
der noch nie so lange orgasmus
sondern,
daß sie danach keine zigarette rauchte
und sich statt dessen
die genitalien leckte
...



STECK MIR DEINE ZUNGE



in den hals
reib sie an meinem gaumen
bring mich zum erbrechen
drücke mir den finger in die ohren
bis es nicht mehr weitergeht
und schmiere mir das blut
auf die brust
verklebe mir die haare
umhülle mich mit alufolie
spritz mir deinen saft in die augen
verwässer mir den blick
bind mir einen strick um den hals
und führe mich auf deinen weg
herrgott nochmal
leck mir endlich den dreck aus den poren
in meinem genick
um es anschließend
zu brechen


am anderen ende der leitung
stöhnt mir eine frau
ihr wollust in mein ohr
und läßt mit sich machen
was ich will
wenn ich nicht mehr will
lege ich einfach auf
doch warum


“Omnia tradantur - portas reservaimus hosti -
            et sit in infida proditione fides.”
                                                                                  Ovid

(Alles verrat ich dir nun. Ich öffne dem Feinde die Tore.
            Treulos ist der Verrat; doch im Verrat bin ich treu.)



wie gut das ich nicht alles
preisgebe von mir
mich verwundbar mache
den pfeilen des feindes gegenüber stehe
wie gut das jedes leben
seine schattenseiten hat
dunkle tiefe schluchten
in die man nur zu leicht stürzen kann
hat man keinen halt
            in meiner schattenwelt
            auf meiner dunklen seite
blühen auf einer großen weiten wiese
blumen des hasses
tragen blüten die früchte der gewalt
verbrennen fruchtbares land
legen jegliches gefühl in ketten
rasseln mit den schlüsseln
            wachsen bäume des verrats der intriganz
            brodeln gerüchte und anklage
            verleumdung und zerstörung
schweelbrand der gelüste
gepaart mit purer roher geilheit
nur der primitivsten triebe wegen
            lasse ich mich hassen und verachten
            kann brutal und hilflos sein
            kann ungestraft die freunde schlachten
            und lauthals wie ein kind schrein
doch ich halte mein tor geschloßen
gebe keinem eine chance
nicht einmal mir selber
im verrat bin ich treu


MANCHMAL,



wenn ich dich auf eine ganz bestimmte weise,
an einer ganz bestimmten stelle küsse,
dein leises schnurren höre
und dein tiefes atmen,
dann kommen mir die worte
ich liebe dich
viel zu grob vor um zu beschreiben
was ich für dich empfinde



ICH HABE DICH GEFUNDEN



Ich habe dich gefunden
doch nie nach dir gesucht
und habe oft seit damals
so manchen Tag verflucht.

Und auch so manche Nacht -
hab oft im Schlaf geweint,
erschrocken festgestellt
das nichts so ist wies scheint.

Jetzt kommt aus mir die Kraft
es dir zu zeigen, es zu sagen
und Schluß zu machen, jetzt,
nach hundertachtzigtausend Tagen.

Ich mache nichts mehr falsch
und sorgsam diesen Schnitt -
ich hab dich nie belogen
auch wenn ich furchtbar litt.


hin und wieder
spüre ich noch
dieses leichte kribbeln
im magen
wenn wir uns ansehen
wenn wir uns küssen
hin und wieder
spüre ich
das ich noch tränen hab
hin und wieder
spüre ich
das ich
noch etwas spüren kann


FERNWEH NACH HEIMAT



ich schweige
weiß nicht wie ichs definieren soll
was ich will
wohin ich will
warum ich es will

ich schweige in mich hinein
und das ist für mich der einfachste weg
den hunger nach fremde
zu stillen
das fernweh nach heimat
zu befriedigen

ich schweige weiter
in mich hinein





HERBST II



Ich laufe durch die herbstlich verfärbten Alleen,
tanze um die Bäume
unter denen ich unzählige,
verschieden große
und verschieden geformte,
Kastanien sammelte
mit der Absicht
sie mir am Abend nacheinander,
gut eingeölt,
in den After zu schieben,
solange bis ich gut genug genährt bin
um den Wildschweinen
als Futter
zu dienen.



SEELIG



ein bier
noch ein bier
und noch ein drittes
vielleicht noch ein viertes
n-na gut, eins n-noch
sech bir da reit

seelig?


die ersten schnitte waren nicht tief
taten nur ein bißchen weh

dann wieder ein schnitt
tiefer und länger
es kommt mehr blut
aber der schmerz ist schwächer

mir wird schlecht
ich muß den brechreiz unterdrücken
dann wird mir schwindelig
ich muß mich setzen
kann mich jetzt aber nicht mehr im spiegel sehn
stehe wieder auf
stütze mich auf das becken
das vom blut ganz rutschig ist

der schnitt jetzt muß der letzte sein
ich setze nocheinmal an
höher diesmal und energischer
die fingernägel schneiden in die haut der hand
ich drücke die klinge fest an den hals
schließe die augen
und lasse alle energie kraft und mut in meine hand
diesmal geht die klinge wie durch butter durch den hals
ich spüre keinen schmerz
das adrenalin macht mich ruhig
ich öffne die augen
und kann meinen offenen hals sehen
ein sauberer schnitt
es geht also doch
und es gibt kein zurück denke ich
während ich mich im spiegel ansehe
dort liegt die luftröhre glatt durchtrennt
und die speiseröhre dicht daneben
aus der wunde zuckt das blut in strömen
und ich mache mir sorgen um den teppich
jetzt erst wird mir richtig schwarz vor augen
ich will schreien aber es kommt nur ein leichtes totes röcheln
meine augen suchen das licht
das von irgendwoher auf mich scheint
ich mache einen schritt nach hinten
und gehe in die knie
jetzt erst reiße ich die hände an den hals
und wünsche mir das man mich nie findet
niemals findet


MEIN KOPF IST LEER



so leer
das selbst ein schuß
oder ein hieb mit dem beil
nicht viel schaden
anrichten könnte

aber
da bist immer wieder du
die batterie
für meine seele
die füllung
für meinen kopf

mein denken
mein fühlen
alles was ich anfang
fängt mit dir an
bist du















































winter














































herbst
























































sommer














































frühling


herbst









novembergedichte
von
roy blacha
1997

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